Sorge um deutsche Minderheit in der Ukraine
Von Karsten Kammholz

Ein Hilferuf der Deutschstämmigen in der Ukraine hat die Bundespolitik erreicht. Inzwischen fürchtet der Minderheitenbeauftragte der Koalition "Panikreaktionen in Form von Ausreiseanträgen".

Wie viele Ukrainer sich zur deutschen Minderheit zählen, ist schwer zu sagen. Rund 33.000 Ukrainer bekannten sich bei der offiziellen Volkszählung von 2001 zur deutschen Abstammung. Vertreter der Minderheit gehen allerdings davon aus, dass damals viele Deutschstämmige ihre Herkunft verschwiegen – aus Angst vor Beschimpfungen, vor politischen Einschränkungen.

Der prominenteste Vertreter der deutschen Minderheit ist Wladimir Leysle, er sitzt dem "Rat der Deutschen der Ukraine" vor. Und noch immer muss er seinen ukrainischen Landsleuten erklären, was es mit der deutschen Minderheit auf sich hat. "Viele sind der Meinung, wir seien Abkömmlinge der Besatzer oder Kriegsgefangene. Das stimmt nicht. Nicht viele wissen, dass etwa 880.000 Repräsentanten der deutschen ethnischen Gruppe 1939 auf dem Territorium der Ukraine lebten", sagt Leysle im Gespräch mit der "Welt".

Die ersten Deutschen wurden bereits im 13. Jahrhundert von Kiewer Fürsten für die Entwicklung des Handels und des Handwerks eingeladen. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts entstanden erste deutsche Kolonien. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzte dann ein regelrechter "Massenumzug" ein, gefördert von Zarin Katharina II. und Zar Alexander I. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts spricht man von den Schwarzmeerdeutschen.

"Seit Wochen erhält das Büro des Rats der Deutschen viele Anrufe von deutschstämmigen Menschen mit der Bitte, in dieser Situation zu helfen", berichtet Leysle. Die Anrufer seien verängstigt.

Mögliche Rückkehr in die "historische Heimat"

Er glaubt, wohl mehr Menschen als je zuvor bedauern, dass sie nicht wenigstens vorübergehend zu ihren Verwandten nach Deutschland ausreisen können – "dorthin, wo es ungefährlich ist". Leysle sagt: "Sie können es nicht, wenn sie keine langfristigen Schengen-Visa oder einen deutschen Pass haben."

Die Situation im Land habe viele hier wohnende Deutsche dazu animiert, über den Umzug in die "historische Heimat", nach Deutschland, nachzudenken. Laut Leysle beginnen manche bereits damit, ihre Dokumente für den Erhalt des Spätaussiedlerstatus vorzubereiten.

Schon seit Langem sei der in den Gesetzen so gut geregelte Schutz der nationalen Minderheiten tatsächlich nur auf dem Papier vorhanden, kritisiert er. "Seit der Unabhängigkeit der Ukraine bis heute ist die Frage der Wiederherstellung der Rechte der verfolgten Völker, einschließlich der Deutschen, nicht entschieden." Mehr als zehn Jahre habe man zusammen mit der Bundesregierung erfolglos um eine Erneuerung der Arbeit der deutsch-ukrainischen Regierungskommission für die Angelegenheiten der deutschen Minderheiten in der Ukraine geworben.

Minderheit braucht jetzt klare Botschaften

Der Hilferuf der deutschen Minderheit hat inzwischen die deutsche Politik erreicht. Im Bundestag wachsen die Sorgen. Der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Hartmut Koschyk (CSU), trifft an diesem Montag Regierungs- und Parlamentsvertreter, vor allem aber Vertreter der deutschen Minderheit.

"Es herrscht große Unruhe bei der deutschen und anderen Minderheiten", stellt Koschyk fest. Alle Minderheiten in der Ukraine brauchten von der ukrainischen Führung die klare Botschaft, dass sie geschützt werden, fordert er. "Das erwarten auch Deutschland und die Europäische Union", so Koschyk.

Aus den offiziellen Zahlen der Volkszählung von 2001 geht auch hervor, dass eine Gruppe von gut 2.800 Menschen deutscher Abstammung auf der inzwischen von Russland annektierten Krim lebt. Um deren Zukunft sorgen sich Politiker im Bundestag im Besonderen. "Deutschland muss sich auch zum Anwalt der deutschen Minderheit auf der Krim machen", fordert Koschyk. "Uns bewegt aber auch das Schicksal der Krim-Tataren. Diese Bevölkerungsgruppe hat schon unter Stalin sehr gelitten."

Furcht vor "Panikreaktionen"

Koschyks Forderung ist eindeutig: Wenn die Ukraine einen Weg in Richtung Europa einschlage, dann habe sie den unveräußerlichen Schutz nationaler Minderheiten zu gewährleisten. Der Regierungsbeauftragte warnt zugleich vor weiterer Unruhe und möglichen "Panikreaktionen in Form von Ausreiseanträgen" der Deutschen vor Ort. Man müsse mit der Ukraine und Russland vielmehr darüber reden, "den Minderheiten unabhängig von der staatlichen Zugehörigkeit weitgehende Autonomie zuzusichern".

Dennoch kann es so weit kommen, dass die deutschen Behörden tatsächlich auf Ausreiseanträge von Ukraine-Deutschen schnell reagieren müssen. Der CSU-Bundestagsabgeordnete und Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen (BdV), Bernd Fabritius, ist alarmiert: "Sollte der ethnische Konflikt insbesondere auf der Krim nach der Annexion weiter eskalieren und aufgrund von Verletzungen des Minderheitenschutzes Deutsche vermehrt das Land verlassen wollen, müssen ihre Anträge in Deutschland schnell bearbeitet und auch die eingeführten Erleichterungen im aussiedlerrechtlichen Aufnahmeverfahren schnell umgesetzt werden." Keiner von ihnen dürfe in Gefahr geraten, "weil Möglichkeiten der Aufnahme nicht kurzfristig umgesetzt werden".

Seiner Meinung nach sind die gut 33.000 Deutschen in der Ukraine genau wie die übrige Bevölkerung "unglaublich von den aktuellen Ereignissen bewegt, aber keinesfalls ängstlich". Berichte, dass eine größere Zahl unter ihnen nun die Ukraine verlassen oder sich gar auf die russische Seite schlagen wolle, seien unwahr, ist er überzeugt. Laut Fabritius wollen die Deutschen in der Ukraine im eigenen Land die Zukunft der Ukraine mitgestalten.

Quelle:
Die Welt, Krim-Krise, 24.03.2014.
www.welt.de/politik/deutschland/article126106942/Sorge-um-deutsche-Minderheit...