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Russland dreht am Rad der
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94 Jahre nach der Oktoberrevolution
bekommt orthodoxe Kirche ihr Eigentum zurück
Von Mareike Aden
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Die
orthodoxe Kirche Russlands kann sich zu ihrem heutigen Weihnachtsfest über ein außerordentliches
Geschenk aus Moskau freuen: 94 Jahre nach der Enteignung durch die Bolschewiki in
der Oktoberrevolution von 1917 sollen die Religionsgemeinschaften ihr einstiges
Eigentum zurückbekommen.
Größter Profiteur ist das Moskauer Patriarchat, dem
insgesamt 11.000 Objekte - darunter Klöster, Kirchen, Schulen, Denkmäler - wieder
übereignet werden sollen. Das Gesetz stieß auf enormen Widerstand und Proteste in
der Öffentlichkeit - von einem politischen Deal ist die Rede, der darauf abziele,
dem Kreml die Machtbasis der russisch-orthodoxen Kirche zu sichern.
An einem bitterkalten Sonntag um 13 Uhr haben sich auf dem Gehweg vor einer altrosafarbenen
Kirche im Moskauer Zentrum rund 30 russisch-orthodoxe Gläubige versammelt. Vater
Pjotr im schwarz-goldenen Liturgie-Gewand hat einen Klappaltar in den Schneematsch
gestellt. Seit September kommen sie hier jeden Sonntag zu einer Art Protest-Gottesdienst
zusammen. Denn IN der Kirche dürfen sie nicht beten. Seit frühen Sowjetzeiten ist
dort das Stadtmuseum untergebracht. Zwar erhielt das Moskauer Patriarchat das Gebäude
schon vor Jahren offiziell vom Staat zurück. Aber bis heute hat die Museumsleitung
es geschafft, sich vor dem Umzug zu drücken.
Vater Pjotr hofft, dass das neue Gesetz zur Rückgabe von enteignetem Kircheneigentum
ihren Forderungen Nachdruck verleiht.
"Das neue Gesetz eröffnet Perspektiven für einen
normalen Dialog in einer gesunden Atmosphäre. In vielen Problemfällen gab es zuvor
überhaupt keine feste Basis um direkt, aber zivilisiert über Rückgaben zu diskutieren.
Es hieß: Ja, vielleicht - morgen oder übermorgen. Aber nun gibt es ein Gesetz und
festgelegte Abläufe und Zeitrahmen."
Insgesamt 11.000 Gebäude und Objekte sollen zurückgegeben werden. Museumsdirektoren
in ganz Russland gingen gegen das Gesetz auf die Barrikaden - und erreichten zumindest
einige Änderungen. So bleiben die wertvollsten russischen Heiligtümer der UNESCO-Welterbeliste
im Staatsbesitz. Doch die Kulturelite des Landes fürchtet trotzdem, dass große Teile
Russlands kultureller Schätze nun in Kirchen verschwinden und dort wegen mangelhafter
Aufbewahrung gar vergammeln oder gestohlen werden könnten. Solche Fälle gab es in
den neunziger Jahren, als einige Klöster Ikonen zurück bekommen hatten.
Das Gesetz sei ein weiterer Hinweis darauf, wie die russisch-orthodoxe Kirche großen
Einfluss auf die Mächtigen im Land ausübe, sagt Maria Lippmann, Analystin vom Carnegie
Zentrum Moskau, einer internationalen Denkfabrik:
"Der Staat will die gesellschaftliche Autorität der
russisch-orthodoxen Kirche nutzen und die lässt sich das in Kapital umwandeln. Die
Kirche ist wichtig für die Mächtigen, denn im Alltagsleben in Russland gibt es wenige
Elemente, die das Volk zusammenhalten. Die Gesellschaft ist sehr fragmentiert."
Theoretisch können laut neuem Gesetz alle Glaubensgemeinschaften ehemaliges Eigentum
zurückfordern. Dass aber vor allem die russisch-orthodoxe Kirche profitiert, steht
außer Frage - sie wird wohl zu einem der größten Immobilienbesitzer im Land werden.
Und in strittigen Fällen hilft die Politik nach, wie die Geschehnisse in der russischen
Exklave Kaliningrad, dem ehemaligen Königsberg, zeigen. Auf Beschluss der Regionalpolitik
wurden 15 Kirchen, die vor der Enteignung durch die Sowjets eigentlich der katholischen
Kirche gehörten, der russisch-orthodoxen Kirche überschrieben. Dabei war die zu
dem Zeitpunkt der Enteignung durch die Sowjets noch gar nicht aktiv in der Region,
kritisiert Alexei Subow, der als Religionsexperte Vorlesungen an russisch-orthodoxen
Moskauer Universitäten hält:
"Die russisch-orthodoxe Kirche hat in dem Fall selbst
das Gesetz gebrochen, das sie auf den Weg gebracht und durchgesetzt hat. Das ist
ein großer Fehler und macht Katholiken und Protestanten im Land zu Recht wütend.
Nicht nur moralisch, sondern auch juristisch ist das fragwürdig - denn die russisch-orthodoxe
Kirche wollte das über die Bühne bringen, bevor in Moskau das Gesetz unterschrieben
wurde. Denn laut neuem Gesetz wäre eine solche Übergabe gar nicht möglich gewesen."
So ist Kaliningrad zum Zentrum des Protestes gegen das Gesetz geworden. Doch auch
in anderen Städten macht sich Unzufriedenheit und Skepsis breit, sogar vereinzelte
Demonstrationen gab es schon. Und Beobachter befürchten weitere Konflikte: Nachdem
nun gesetzlich ein Präzedenzfall geschaffen wurde, könnten auch andere durch die
Bolschewiken enteignete Personen oder Institutionen Rückgabeforderungen stellen
- womöglich sogar die Nachkommen der Zarenfamilie.
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weitere Berichte zum
Eigentumsstreit
im Ostdeutschen Diskussionsforum unter:
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